31.08.2023

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wir bitten um Beachtung der unten stehenden Stellungnahme der DVG-Fachgruppe "Kleine Wiederkäuer und Neuweltkamele" zur aktuellen Situation der Tuberkulose bei Lamas und Alpakas in Deutschland.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre LTK Hessen


Stellungnahme der Fachgruppe "Kleine Wiederkäuer und Neuweltkamele" der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (DVG)

Aktuelle Situation der Tuberkulose (Mycobacterium tuberculosis Komplex) bei Lamas und Alpakas in Deutschland

In Deutschland nimmt die Zahl der Neuweltkamele (NWK) seit Jahren stetig zu. Laut Halter- und Zuchtverbänden ist aktuell von ca. 30.000 bis 35.000 Tieren auszugehen. Damit steigen ebenfalls die Ansprüche sowie die Verantwortung seitens der Tierhalter und für die behandelnden Tierärzte. Aufgrund ihrer physiologischen und anatomischen Besonderheiten nehmen die Neuweltkamele, aus Sicht der Infektionsmedizin, eine artenübergreifende Position zwischen großen und kleinen Wiederkäuern sowie auch den Equiden ein.

Bisher wurden Lamas und Alpakas in Gesetztestexten weitestgehend vernachlässigt. Aus diesem Grund ist z.B. keine konkrete Anzahl von NWK in Deutschland ermittelbar, da eine jährliche Stichtagsmeldung für NWK bisher nicht vorgesehen ist.

Auch anhand des Tierseuchen-Nachrichtensystems (TSN) ist die bisherige unzureichende Beachtung der Neuweltkamele im deutschen Tierseuchengeschehen klar erkennbar. Sowohl bei der Meldung als auch Filterfunktion können die Neuweltkamele aktuell nicht ausgewählt werden. Einzig über das Bemerkungsfeld kann eine Konkretisierung der Tierarten erfolgen bzw. ermittelt werden. Eine automatisierte Abfrage ist für die NWK somit nicht möglich.  

In der Zwischenzeit finden Neuweltkamele jedoch zunehmend Berücksichtigung und mit der Einführung des Animal Health Law (AHL, VO (EU) 2016/429) sind sie expressis verbis benannt. Unter anderem schreibt die Del VO 2020/688 vor, dass alle Kameliden und deren Bestände für Verbringungen in andere Mitgliedstaaten an einem Tuberkulose-Überwachungsprogramm teilnehmen müssen.

Folgende spezielle Anforderungen an die Verbringung in Hinblick auf den M. tuberculosis Komplex (MTC) werden in Art. 23 (1) Buchstabe e in Verbindung mit Anhang II Teil 2 für NWK aufgeführt:

1. In den letzten 12 Monaten wurden Überwachungsmaßnahmen bezüglich M. tuberculosis Komplex durchgeführt
    • Fleischuntersuchung aller geschlachteten Kameliden  
    • Nekropsieuntersuchung aller Falltiere > 9 Monate  
    • einen jährlichen tierärztlichen Kontrollbesuch
    • jährliche Untersuchung aller Zuchttiere auf MTC
2. In den letzten 12 Monaten wurden nur Kameliden aus Betrieben eingestellt, in denen die gleichen Vorgaben bzgl. MTC eingehalten werden.  
3. Im Fall der MTC-Feststellung wurden Bekämpfungsmaßnahmen durchgeführt. 

Des Weiteren wird die Möglichkeit des Verzichtes auf die jährliche Untersuchung der Zuchttiere eröffnet, wenn

    • das Infektionsrisiko, auf Grundlage einer Risikobewertung, als vernachlässigbar eingestuft wurde,
    • das Überwachungsprogramm mindestens seit 24 Monaten durchgeführt wurde und
    • der Betrieb in einem Mitgliedstaat liegt, dessen Rinderpopulation frei von Infektionen mit M. tuberculosis Komplex ist.

Die meisten Punkte des Überwachungsprogramms sind aus fachlicher Sicht für die deutschen Halter von Neuweltkamelen gut zu erfüllen. Die Ausnahme besteht in der jährlichen Untersuchung aller Zuchttiere auf Tuberkulose. Hier ist für Neuweltkamele keins der von der EU vorgeschriebenen Testverfahren (Intrakutan-Hauttest und serologische Untersuchung) in Deutschland validiert und zugelassen. Nach der zwischenzeitlichen Klarstellung der Europäischen Kommission, dass eine alleinige Anwendung des Intrakutan-Hauttests als diagnostische Methode ausreichend ist, können Neuweltkamele aus Deutschland wieder verbracht werden, wenn der Intrakutantest mit negativem Ergebnis verläuft. Die Anwendung des Intrakutan-Hauttests ist im Rahmen einer Umwidmung für Tierärzte möglich.

Aus der internationalen Literatur ist jedoch bekannt, dass beide vorgesehenen Testsysteme einen limitierten diagnostischen Wert bei Neuweltkamelen aufweisen. Aufgrund der Tatsache, dass viele Halter von Neuweltkamelen in Deutschland ihre Tiere freiwillig zur Abklärung der Todesursache in die pathologische Sektion geben, wäre jedoch zu erwarten, dass bei Vorliegen einer hohen Prävalenz von Tuberkulose bei NWK schon in den letzten Jahren positive Fälle gemeldet worden wären. Dies ist aber unseren Kenntnissen nach und laut dem TSN nicht der Fall. Insofern gehen wir aktuell von einer geringen Prävalenz und damit Gefahr für andere Tierarten und dem Menschen aus.

Deutschland gilt als frei von der Rindertuberkulose, wodurch bereits ein wesentlicher Schritt zur Gewährung der Ausnahme von der jährlichen Tuberkulinisierung aller Zuchttiere gemacht ist. Frühestens nach 24 Monaten wäre es für erste Betriebe möglich eine Befreiung von der jährlichen Tuberkulinisierung zu erlangen. In dieser Zeit sollte für die notwendige Risikobewertung eine umfängliche Datenerhebung z.B. über den tatsächlichen Tierbestand in Deutschland, die bisher und zukünftig vorliegenden Daten zu den pathologischen Untersuchungen/Fleischuntersuchungen und den Ergebnissen der diagnostischen Ermittlungen stattfinden.

Empfehlungen

Wir empfehlen

    • den verantwortlichen Stellen eine Anschubfinanzierung zu leisten, um die Entwicklung der vorhandenen bzw. neuer Diagnosemethoden auf NWK zu adaptieren und damit zur Zulassung zu verhelfen.
    • bis zur Zulassung von auf NWK adaptierte und verlässliche Diagnostikmethoden die verpflichtende Einführung der Sektion aller verendeten, geschlachteten und getöteten NWK in Deutschland als momentan einzige Chance valide Prävalenzdaten zu erhalten und diese finanziell zu bezuschussen.
    • die Anpassung des Tierartenkataloges (Lama, Alpaka, Vikunja, Guanako) von TSN.
    • die Schaffung einer Datenbank und gesetzliche Verpflichtung der Tierhalter zur jährlichen Meldung der Tierzahl (Stichtagsmeldung) in diese Datenbank.
    • die Förderung eines Projektes zur Auswertung der bisherigen Sektionsdaten in Deutschland um eine Risikobewertung in Zusammenarbeit mit dem FLI durchführen zu können.
    • die Erhebungen zu Schlachtzahlen in Deutschland.
    • die Einrichtung einer nationalen Arbeitsgruppe unter Beteiligung des BMEL, FLI, der DVG-Fachgruppe sowie den Halterverbänden, welche mit den anderen EU-Länder eine homogene Vorgehensweise zum Thema Tuberkulose und anderen Fragestellungen erarbeiten soll.

Diese Stellungnahme finden Sie online auch als pdf-Dokument.

Ansprechpartner der DVG-Fachgruppe für Rückfragen:
Dr. Henrik Wagner
stellv. Leiter der DVG-Fachgruppe "Kleine Wiederkäuer und Neuweltkamele"
Tierklinik für Reproduktionsmedizin und Neugeborenenkunde
Justus-Liebig-Universität Gießen
Tel.: 0641/9938703
Mail: Henrik.w.wagner@vetmed.uni-giessen.de

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